Im Zentrum der Kamera und der Aufmerksamkeit steht die fünfzehnjährige Martine (Kristen Stewart). Mit unsicheren Balletschritten tänzelt sie herum, äußerlich fragil, innerlich entschlossen. Sie ist aufgewachsen in dem winzigen Kaff, in dem “Das gelbe Segel” beginnt. Nur raus, weg, mit irgendwem, also steigt sie mit einem alten Knacki und einem gehemmten jungen Typen in dessen Wagen. Der Knacki ist Brett, das klassische Raubein mit Herz, dem William Hurts überzeugendes Spiel immerhin mehr Tiefe verleihen kann, als die konventionelle Figur birgt. Sechs Jahre verbrachte Brett wegen Totschlags im Gefängnis. “Es war ein Unfall.“, formuliert es Martine später dem Zuschauer vor. Brett soll als Zerrissener erscheinen. Doch dazu ist er zu grundanständig, zu fürsorglich gegenüber den beiden Jugendlichen, mit denen er während der Reise Motelzimmer und Auto teilt. “Das gelbe Segel” erzählt seine Geschichte. Seine große Liebe May (Maria Bello) hat Brett nach einem Schicksalsschlag verlassen. Nun hofft er, sie wiederzusehen. „Das gelbe Segel“ soll die Angebetete auf dem Boot, welches das Paar einst teilte, hissen.
Der Dritte im Bunde beziehungsweise im Wagen ist Gordy (Eddie Redmayne). Obwohl er Weißer ist bezeichnet er sich als amerikanischer Ureinwohner. Was die Identifikation mit dem von Vertreibung und Verfolgung durch die weißen Siedler geprägten kulturellen Erbe der amerikanischen Ureinwohner aber bedeuten soll, kann “Das gelbe Segel” nicht ergründen. So bleibt der mit beeindruckendem Feingefühl von Eddie Redmayne gespielte Gordy eine bizarre Randfigur. Kaum ist Gordy als ungewollt abstoßender, schwer gestörter Jugendlicher etabliert, verformt “Das gelbe Segel” ihn plötzlich zum romantischen Partner für Martine. Was als vielversprechendes Road Movie um drei entwurzelte Einzelgänger begann, wandelt sich durch die eingeflochtene Geschichte Mays und Bretts zum Beziehungsdrama und verkommt anschließend fast zur Teenagerromanze. Ist „Das gelbe Segel“ gehisst, läuft die unsichere Handlung im Schnulzenhafen ein. Wie das ungleiche Figurentrio in „Das gelbe Segel“, verfährt sich Regisseur und Drehbuchautor Udayan Prasad im Laufe der Handlung. Das Tempo lässt nach bis Motor und Handlung stillstehen. Heim in den biederen Beziehungshafen geht es für Brett und früher oder später wohl auch Martine und Gordy.
Wahre Road Movies enden tragisch oder offen, ein verkitschtes Happy End wie es „Das gelbe Segel“ bringt, wird dem engagierten Ensemble ungerecht. Das Verlangen nach Nähe und die gleichzeitige Angst davor verbindet die unterschiedlichen Figuren in “Das gelbe Segel”. Woher diese Furcht vor einem festen Ziel, im Leben wie unterwegs, kommt, ergründet das Drama nicht. Dabei ist diese Gefühl der Entwurzelung der Ausgangspunkt eines Road Movies, als welches “Das gelbe Segel” anfängt. Umso eiliger es Regisseur Prasad mit den positiven Wendungen hat, umso mehr stumpft er das Potential seiner Figuren ab. Brett und May müssen ein Paar werden, Martine und Gordy ein weiteres. Auf die komplizierten, unsicheren Seitenstraßen, welche sich der Handlung anbieten, wagt sich das Drama nicht. Mit lolitahaftem Charme schlägt Martine Brett vor, sie könne bei ihm bleiben. Gordy enthüllt verstörende sexuelle Gewaltbereitschaft und Ansätze einer psychischen Störung, Brett hat ein Aggressionsproblem. Doch „Das gelbe Segel” begibt sich in die sicheren Fahrwasser des leicht verträglichen Familienfilms. Statt weißer Segel wird „Das gelbe Segel” gehisst, welches gleich dutzendweise wehen muss. Zu viel des Guten, in Form von Seelenheil und Segeln, zerstört die filmische Stimmung.
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Deutscher Titel: Das gelbe Segel
Originaltitel: The Yellow Handkerchief
Land/Jahr: USA 2009
Genre: Drama
Kinostart: 19. November 2009
Regie und Drehbuch: Udayan Prasad
Darsteller: Kristen Stewart, William Hurt, Maria Bello, Eddie Redmayne
Laufzeit: 96 Minuten
Verleih: X Verleih
Internet: www.x-verleih.de